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Die Last der Väter: Meine Familiengeschichte

Auch ein Täter mit Familie: Oswald Kaduk war SS-Unterscharführer im KZ Auschwitz und wurde bei den Auschwitz-Prozessen 1965 in Frankfurt als Kriegsverbrecher verurteilt. Foto: Interfoto/Alamy
Auch ein Täter mit Familie: Oswald Kaduk war SS-Unterscharführer im KZ Auschwitz und wurde bei den Auschwitz-Prozessen 1965 in Frankfurt als Kriegsverbrecher verurteilt. Foto: Interfoto/Alamy

Zwei Großväter bei SS-Verbänden und ein Leben zwischen Schweigen und Alkohol. Der Braunauer Peter F. erzählt von der Last der Vergangenheit – und wie es ihm gelungen ist, sie zu überwinden.

Meine Großväter waren beide bei SS-Verbänden. Aus der Vaterlinie war dies Paul F. Dieser lebte bei Kriegsausbruch mit Frau und Sohn in einer Kleinstadt im damaligen Königreich Jugoslawien, einem Ort, der vor allem von Donauschwaben bevölkert war. Damals wurden sie auch „Volksdeutsche“ genannt.

Während der kurzen Phase der Annexion des Balkans durch Nazi-Deutschland hat er bei jugoslawischen Verbänden gedient. Auf welche Art und Weise er später Mitglied der SS-Totenkopfverbände und so Teil der Wachmannschaft im Konzentrationslager Auschwitz wurde, kann ich nur Vermutungen anstellen.

Unvorstellbare Taten

Die Publikation „Auschwitz. Täter, Gehilfen, Opfer und was aus ihnen wurde. Ein Personenlexikon.“ gibt dazu aber Hinweise. Dort habe ich gleich mehrere Namen ehemaliger Bewohner gefunden, welche in Auschwitz den widerlichen Dienst verrichten mussten, manche wohl auch wollten.

Allein die Vorstellung, an einem wunderbaren Sommertag am Balkan in einen Zug zu steigen, um dann im Norden unbekannte Menschen, Familien, zu ermorden … unvorstellbar!

Zerstörerische Folgen

Weiterleben nach diesem Trauma?! Dazu hat wohl jeder dieser „Täter unter Zwang“ seinen eigenen Weg eingeschlagen. Mein Großvater mütterlicherseits nahm den Weg des Alkohols. Er hat in erster Linie sich selbst zerstört.

Mein Großvater väterlicherseits dahingegen hat den Alkohol gemieden. Er könnte sich im Rausch verraten ob seiner Rolle während des Krieges; dieser Gefahr war er sich sicher bewusst. Dieses Damoklesschwert hat sein Leben bestimmt; sicher war er sich der zerstörenden Auswirkungen auf seine Familie nicht bewusst (dies hoffe ich zumindest).

Rätselhaftes Schweigen

Vor diesem Hintergrund sah er sich als absoluter Familienpatron, der sich verpflichtet fühlte, die Geschicke der Nachkommen so zu lenken, dass nicht zu viele Fragen von Nachbarn und Mitmenschen aufkamen. Dabei hat er nur eines übersehen, mein „lieber Opa“: Seine eigene Familie wusste von dem absolut nichts, konnte nur spüren, dass, wie man sagt, etwas nicht stimmte.

Betrachte ich aus meiner Warte das Leben meines Vaters, so sehe ich zum Großteil Fürchterliches. Er war ein kluger Kopf, den er aber nie befreit benutzen durfte. Alkohol war sein Weg bis zu seinem frühen Ende.

Lösungsmittel Alkohol

Für mein Leben war die strenge, dennoch aber eigentlich inexistente Vaterfigur eine Vollkatastrophe. Dies wurde noch dadurch verstärkt, dass mein Großvater meinen älteren Bruder als eine Art Prinzregenten betrachtet hat.

Ich, für meinen Teil, von der Volksschullehrerin als hochbegabt eingestuft – dieser Umstand wurde von meiner Familie konsequent ignoriert – habe mir mit Alkohol als Lösungsmittel eine Ersatzfamilie zusammengerührt. Scheitern im Leben, insbesondere im beruflichen, war vorprogrammiert.

In welchem Ausmaß diese Familiengeschichte durch die Nachwirkungen der NS-Zeit dominiert wurde, zeigt sich an der Vita meines jüngeren Bruders. Er war, da bedeutend jünger als ich, der Einflusssphäre des Großvaters weniger intensiv ausgesetzt.

Ich konnte seit dem Jahr 2011, wie man sagt, den Alkohol besiegen. Trocken zu bleiben gelingt mir, eigentlich erstaunlich leicht, sicher, weil ich den Grund zu trinken erkannt habe. Mit meiner Geliebten bin ich verheiratet, eine kleine Familie. Lieber später als nie. (Peter F., Braunau)


Hinweis:
Der Verein für Zeitgeschichte Braunau bedankt sich bei Peter F. für die Zusendung seiner persönlichen Erinnerungen.

Diese veröffentlichen wir in Rücksprache mit dem Autor als Beitrag zum Thema der Zeitgeschichte-Tage 2025 „Vererbtes Trauma. Die seelischen Wunden der Nachkriegsgenerationen“. Und als Einladung an alle Leserinnen und Leser, Ihre persönliche Geschichte bei dieser Tagung einzubringen.

Mehr Infos:
Ernst Klee: Auschwitz. Täter, Gehilfen, Opfer und was aus ihnen wurde.


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