Dokumentation

Not-wendiger Verrat

Franz Jägerstätter: Held? Märtyrer? Verräter? Um diese Fragen kreisten die Zeitgeschichte-Tage 1995.
Franz Jägerstätter: Held? Märtyrer? Verräter? Um diese Fragen kreisten die Zeitgeschichte-Tage 1995.

Die Zeitgeschichte-Tage 1995 rückten Franz Jägerstätter ins Zentrum einer breiten Debatte über Desertion, Gewissensentscheidungen und die Deutung von Widerstand im Nationalsozialismus.

Prominent besetzt waren die 4. Braunauer Zeitgeschichtetage, die 1995 im Kulturzentrum Gugg stattfanden. Im Mittelpunkt stand der Fall des Bauern Franz Jägerstätter aus St. Radegund, der während des Zweiten Weltkriegs den Dienst bei der Deutschen Wehrmacht verweigerte und im August 1943 hingerichtet wurde.

Sein Schicksal steht exemplarisch für individuelle Gewissensentscheidungen in Zeiten diktatorischer Systeme. Jägerstätter wurde 2007 von der katholischen Kirche seliggesprochen.

Ein Fall, der Österreich bewegte


Jägerstätters Haltung galt lange als umstritten und spaltete öffentliche Meinung und Erinnerungskultur. Zu Beginn der Tagung wurde der Film „Der Fall Jägerstätter“ von Axel Corti gezeigt, gefolgt von einem Gespräch mit dem Regisseur Andreas Gruber (Regisseur, Wels). Zu Gast waren unter anderem der Schauspieler Kurt Weinzierl (Hauptdarsteller „Der Fall Jägerstätter“), Vertreter des Kameradschaftsbundes und der Landesverteidigungsakademie.

Im Laufe der Tagung prallten unterschiedliche Perspektiven aufeinander: militärische, kirchliche, gesellschaftliche und persönliche. Die Debatte um die Stilisierung Jägerstätters zum Märtyrer, dessen Seligsprechung viele Jahre später erfolgen sollte, führten unter anderem Georg Denzler (Kirchenhistoriker), Sepp Kerschbaumer (Oberösterreichischer Kameradschaftsbund) und Andreas Laun (Weihbischof von Salzburg).

Ergänzt wurde die Diskussion durch Beiträge zu Fragen von Desertion, Widerstand und moralischem Handeln.

Desertion und Widerstand


Im Zentrum der Debatten stand die Bewertung von Desertion und individuellem Widerstand gegen das NS-Regime. Ludwig Baumann (Bundesvereinigung Opfer der NS-Justiz) sprach über seine eigenen Erfahrungen als Deserteur und die späte gesellschaftliche Anerkennung dieses Aktes. Ferdinand Brunnbauer (Kameradschaftsbund Ried) und Vertreter des Bundesheeres wie Johann Berger (Landesverteidigungsakademie) und Rolf M. Urrisk (Bundesheer) setzten dem die Sicht von Veteranen und Institutionen entgegen.

Auch Stimmen aus Friedensbewegung und Theologie, darunter Klaus Heidegger (Pax Christi) und Jakob Knab (Autor „Falsche Glorie“), kamen zu Wort.

Kirche und Märtyrerdeutung


Eine eigene Sektion widmete sich der kirchlichen Auseinandersetzung mit dem Fall Jägerstätter. Neben dem Kirchenhistoriker Georg Denzler (Kirchenhistoriker) nahmen Werner Fischer (Religionswissenschaftler), Sepp Kerschbaumer (Oberösterreichischer Kameradschaftsbund) und Andreas Laun (Weihbischof von Salzburg) teil. Die Debatten zeigten, wie stark die Deutung Jägerstätters als Märtyrer auch Jahrzehnte nach seinem Tod umstritten blieb.

Erinnerung und lokale Perspektive


Zum Abschluss der Tagung diskutierten Vertreter aus Braunau und St. Radegund über die Bedeutung des Falls für die lokale Erinnerungskultur, darunter Gerhard Skiba (Bürgermeister Braunau) und Isidor Hofbauer (Bürgermeister St. Radegund).

Filmvorführungen und Gespräche zur „Kriegsgeneration“ rundeten das Programm ab, bei dem auch Ludwig Baumann (Bundesvereinigung Opfer der NS-Justiz), Ferdinand Brunnbauer (Kameradschaftsbund Ried) und Kurt Leixl (Kameradschaftsbund) zu Wort kamen.

Nachwirkungen


Die Tagung machte deutlich, wie tief der Fall Jägerstätter bis heute in Fragen von Moral, Gewissen und Verantwortung hineinwirkt. Sie trug entscheidend dazu bei, Desertion als Form des Widerstands neu zu bewerten und die Rolle der Kirche, des Militärs und der Gesellschaft im Umgang mit Gewissensentscheidungen kritisch zu reflektieren.

Die Seligsprechung Jägerstätters im Jahr 2007 bestätigte seine spätere öffentliche Anerkennung – ein Wandel, der 1995 noch Gegenstand kontroverser Diskussionen war.

Infos
Programm 1995 1
Programm 1995 2


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