Dokumentation
Das schwache Geschlecht?

Die 29. Braunauer Zeitgeschichte-Tage 2020 widmeten sich unter dem Titel „Das schwache Geschlecht?“ Geschlechterrollen in Geschichte und Gegenwart – von NS-Verfolgung über Gleichstellungspolitik bis zu Frauen in Kunst, Comics und Migration.
Bei den 29. Braunauer Zeitgeschichte-Tagen vom 25. bis 27. September 2020 im Kulturhaus GUGG standen die Themen Geschlechterverhältnisse, Gleichstellungspolitik und Frauenbilder in Geschichte und Gegenwart im Mittelpunkt. Den Auftakt bildete am Vorabend die Präsentation des Films „Der Taucher“ von Günter Schwaiger, der häusliche Gewalt und familiäre Dynamiken eindringlich thematisierte.
Politische und historische Perspektiven
Zum Eröffnungsabend sprach Gerhard Wagner (HeForShe Vienna) über die Frage, ob Gleichstellung tatsächlich „Frauen*sache“ sei. Er zeigte die historischen Wurzeln männlicher Dominanz und forderte eine aktive Rolle von Männern in der Gleichstellungspolitik.
Christin Reisenhofer (Demokratiezentrum Wien) präsentierte einen internationalen Vergleich politischer Führungspositionen. Trotz Fortschritten seien Frauen in Spitzenämtern nach wie vor unterrepräsentiert. Sie benannte strukturelle Hürden und mögliche politische Strategien.
Helga Amesberger (Institut für Konfliktforschung) beleuchtete die Verfolgung von Frauen als „Asoziale“ im Gau Oberdonau. Anhand von Akten und Einzelschicksalen zeigte sie, wie regionale NS-Behörden stigmatisierten und verfolgten.
Kulturelle und gesellschaftliche Zugänge
Petra Unger stellte die Frauen*Kunstgeschichte ins Zentrum, inspiriert vom Slogan der Guerilla Girls „Müssen Frauen nackt sein, um ins Museum zu kommen?“. Sie zeigte die Unsichtbarkeit von Künstlerinnen in der Kunstgeschichte und aktuelle feministische Gegenbewegungen.
Isabella Buber-Ennser (ÖAW) und Judith Kohlenberger (WU Wien) sprachen über geflüchtete Frauen in Österreich. Zwischen traditionellen Rollenbildern und Integrationsdruck entstehe oft neue Selbstbestimmung, während öffentliche Debatten das Bild auf das Kopftuch verengten.
Christian Berger (Arbeiterkammer Wien) analysierte Gleichstellungsstrategien aus feministisch-politökonomischer Sicht. Er warnte vor rein formalen Maßnahmen ohne strukturelle Veränderungen und plädierte für tiefgreifende Reformen.
Barbara Eder thematisierte die Darstellung von Frauen in Comics, besonders in Graphic Novels, die stereotype Geschlechterbilder unterlaufen und neue Erzählformen schaffen.
Begleitend boten Hans Blum und Christine Schmid einen Stadtspaziergang zu lokaler Frauengeschichte an. Stefania Pitscheider-Soraperra stellte das Frauenmuseum Hittisau vor, bevor die Ausstellung „Frauen“ im Bezirksmuseum Herzogsburg besucht wurde.
Die Zeitgeschichte-Tage 2020 verbanden historische Forschung, gesellschaftspolitische Debatten und kulturelle Perspektiven zu einem kompakten Programm, das verdeutlichte: Die Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen erfordert sowohl kritische Aufarbeitung der Vergangenheit als auch konsequentes Handeln in der Gegenwart.
Infos 2020
Abstracts
Isabella Buber-Ennser / Judith Kohlenberger
Stefania Pitscheider-Soraperra